Fahrbericht: Morgan Super 3
Unbequem, unpraktisch und überteuert – ein Auto wie den Super 3 braucht kein Mensch. Trotzdem hat Morgan sein Dreirad nach über 100 Jahren jetzt noch einmal neu erfunden – und wir sollten den Briten dankbar dafür sein.
SP-X/Broadway/Großbritannien. Es ist Mittag in Broadway und die Kleinstadt in den Cotswolds döst satt von Stew, Pie und Pudding der zweiten Tageshälfte entgegen. Doch dann zerreißt ein Rattern und Knattern die Stille, als hätte jemand vor der Zeit das Silvesterfeuerwerk gezündet und alle Köpfe drehen sich um nach dem silbernen Sonderling, der wie ein Ufo durch die glühend heißen Backsteingassen fliegt.

Grundkonstruktion unverändert seit 113 Jahren
Dabei passt das futuristische Dreirad eigentlich perfekt in diesen mittelalterlichen Magneten für tausende Touristen. Denn seine Grundkonstruktion ist unverändert, seit die Morgan Motor Company vor 113 Jahren mit dem Bau von Automobilen begonnen hat. Oder zumindest dem, was ein paar spleenige Engländer damals wie heute für ein Auto halten.

Radikal erneuert
Doch während sie hier in Broadway die Vergangenheit perfekt konserviert und entsprechend kitschig inszeniert haben, hat Morgan sein Dreirad mittlerweile radikal erneuert und aus dem PS-Pleistozän ins Hier und Heute geholt: Denn seit letztem Jahr ist der Threewheeler Geschichte und in diesem Sommer hat die Story des Super 3 begonnen – radikal erneuert von der ersten bis zu letzten Schraube, top-modern und trotzdem wunderbar anachronistisch will er zu Preisen ab etwa 55.000 Euro gestandene Männer jetzt wieder zu kleinen Jungs machen und ihnen den Spaß am Dreiradfahren zurückbringen.

Intensiver als im Morgan kann man Fahren nicht fühlen
Und das kann so einfach sein: Denn wo man sich bei anderen Sportwagen unter engen Scherentüren hindurch fädeln muss, stellt man sich beim Morgan einfach auf den Sitz und lässt sich fallen. War das früher noch so, als würde man 46er Füße in einen 39er Stiefel quetschen, ist der Platz zwischen dem hohen Mitteltunnel und dem Blech neben der Hüfte mittlerweile weit genug für ein bisschen Wohlstandspeck. Und wer sich erst einmal die Pedale richtig justiert hat, der bekommt nun selbst lange Beine und große Füße unter. Zwar fällt man bei dieser Prozedur sehr viel tiefer als in den meisten anderen Sportwagen und nimmt im vorauseilenden Gehorsam das Portemonnaie aus der Hosentasche, weil es sonst gefühlt am Asphalt schleift. Doch was nach Abstieg klingt, ist streng genommen ein Aufstieg. Nach ganz oben im Sportwagen-Olymp. Intensiver als im Morgan kann man Fahren nicht fühlen – und dabei obendrein noch lernen, dass Lust nichts mit Leistung zu tun hat. Absolut gar nichts.

Ultimativer Panorama-Blick
Wie immer im Flugzeugstil unter einer Schutzklappe im Cockpit versteckt, startet ein kleiner Druckknopf den gerade mal 1,5 Liter großen und etwas bescheidenen 118 PS starken Motor und beamt den Fahrer in eine andere Erlebniswelt. Denn egal ob Elektroauto oder Supersportwagen, Luxuslimousine oder Stadtflitzer – kein anderes Auto stimuliert so viele Sinne wie der Morgan: Jede Fahrbahnunebenheit schlägt durch bis in die Knochen, Lenken ist ein Kraftakt, die aus dem Mazda MX-5 entlehnte Schaltung, knackig, cross und trocken wie das Shortbread, das sie hier zum Tee servieren, erfordert echte Handwerkskunst. Wo keine Karosserie den Blick behindert, sehen die Augen die Welt mit einem ultimativen Panorama-Blick, und im Bauch wirbeln die Schmetterlinge herum wie bei einem Frühlingssturm über einer Blumenwiese, so wild wirft sich das Dreirad in die Kurven, ohne dass einen irgendeine Form von Seitenneigung vor dem nahenden Grenzbereich warnen würde. Und selbst wenn einem das Pöttern des seligen V2-Motors noch in den Ohren klingt wie ein Evergreen, ist auch der Dreizylinder hitverdächtig, weil sie ihm in den Backsteinhallen von Malvern Link irgendwie das sonst übliche Schnattern abgewöhnt haben.

209 km/h Spitzengeschwindigkeit
Während die Drehzahl auf den digitalen, von Videokonsolen der 1980er inspirierten und entsprechend minimalistischen Instrumenten Sprünge macht wie der Puls des Fahrers, jagt der Morgan über die schmale B-Roads rund um Chipping Camden, Broadway oder Cirencester und beweist auf jeder Meile, dass Geschwindigkeit relativ ist und dass ein kleiner Motor selbst mit nur 150 Nm ganz groß rauskommt, wenn das Auto gerade mal 635 Kilo wiegt. Denn wo sich ein Sprint von 0 auf 100 km/ h in 7,0 Sekunden in einem Lamborghini genauso langweilig anfühlen wie die 209 km/h, die der Super 3 bei Vollgas erreicht, wähnen sich die Morgan-Fahrer längst jenseits des Limits und versuchen, der Reizüberflutung Herr zu werden.

Voll im Fahrtwind
Derweil klatschen einem der Fahrtwind und mit ihm die Fliegen fast ungehindert ins Gesicht. Die beiden winzigen Windabweiser, die vorn auf die Haube geschraubt sind, beruhigen eher das Gewissen als das Getöse, das schon kurz jenseits des Schritttempos einsetzt. Jetzt nur nichts ins Grinsen verfallen, sonst braucht man am Ende der Fahrt viel Zahnseide, um die Insekten wieder aus dem Gebiss zu bekommen.

Jede Menge Extras
Und da erdreisten sich die Briten zu der Behauptung, der Morgan sei praktischer geworden. Na ja, streng genommen ist er das sogar tatsächlich: Es gibt ihn schließlich mittlerweile auch mit einer normalen Frontscheibe und vor allem mit jeder Menge Extras, die ihn beinahe zum Langstrecken-Auto machen. Nein, natürlich keine Klimaanlage. Und selbst die Navigation ist lediglich ein Bildschirm von der Größe einer 2-Euro-Münze für die Richtungsanzeige und läuft nur mit der App auf dem Handy. Aber an den Flanken, auf dem Heck, ja sogar auf der Motorhabe gibt es ein nun ein spezielles Schienen-System samt Packtaschen oder Koffern und allerlei anderem Zubehör, das man für weitere Reisen braucht.

Aber will man in diesem Auto wirklich weit reisen? Und kann man das? Genau wie ein Motorrad ist der Morgan weniger zum Ankommen gemacht als zum Unterwegssein. Wobei das Verhältnis zum Zweirad-Fahrer ein durchaus gespaltenes ist: Lederkombi, Schutzhelm, Handschuhe, Stiefel – was seid ihr nur für arme Würste, mag man den Bikern zurufen, wenn man im T-Shirt und mit wehendem Haar durch den goldenen Oktober fährt.
Boxenstopp in Chipping Camden
Dafür werden echte Biker wahrscheinlich herzhaft lachen angesichts des großen Dreirades für noch größere Kindsköpfe. Aber in der Kombination aus Beschleunigungsvermögen, Kurvendynamik und vor allem dem direkten Einfluss der Elemente kann man einem Motorrad im Auto wahrscheinlich kaum näherkommen. Beim Boxenstopp an der Schrauberbude Koti Autotalli in Chipping Camden wirkt er deshalb zwischen den ganzen Café-Racern auch nicht wie ein Fremdkörper, sondern als würde er hier ganz selbst verständlich dazu gehören.

Schade nur, dass die Saison so langsam zu Ende geht, mittlerweile selbst in Broadway weniger Busse ausgekippt werden und die Wirte bereits die Tische reinstellen. Aber deshalb auch den Morgan einmotten bis zum Frühjahr?
Von wegen: Denn so cool der neue Super 3 mit seinem fast futuristischen Stealth-Look auch sein mag, wird es einem darin nicht nur warm ums Herz, sondern auch verdammt heiß unter dem Hemd. Vielleicht kommt uns das allen diesen Winter noch entgegen. Soll Putin uns doch das Gas abdrehen. Solange es noch die paar Liter Sprit für den Morgan gibt, müssen wir auch im Dezember nicht frieren.
Benjamin Bessinger/SP-X